Eisschollen und Schneereste auf Lkws

von Rainer Bernickel
 

Im Winterhalbjahr lautet eine häufige Durchsage der Leitstellen der Polizei an die Streifenwagen: Fahren sie zu Kilometer x, ein Lkw hat durch verlorene Schnee- oder Eisteile einen Verkehrsunfall verursacht...

Dieser Lkw-Fahrer ist wieder einmal zum schwächsten Glied in der berühmten Kette geworden, denn die rechtlichen Bestimmungen (z.B. § 23 StVO, Sonstige Pflichten des Fahrzeugführers) weisen darauf hin, dass für den Zustand des Fahrzeuges vorerst der Fahrer verantwortlich ist.

 

Ein Vorfall vom 28.12.2002

Ein Fahrer, der am Vortag gegen 20.30 Uhr seiner Pflicht zur Einhaltung der gesetzlichen Ruhezeit nachgekommen war, macht auf dem letzten noch freien Platz einer Tank-und Rastanlage an der Autobahn seine Pause. Am nächsten Tag, gegen 07.30 Uhr, will er weiterfahren. Jetzt wird ihm der in der Nacht eingetretene Wetterumschwung mit Frost bis 7 Grad minus zum Verhängnis. Die vorher mit Regenwasser bedeckte Abdeckplane seines Lkw ist über Nacht zu einer festen Eisfläche gefroren.

Er erkennt vor Fahrtantritt zwar die Situation und weiß auch um die Gefahr, die von der »Dachladung« ausgeht, doch wie soll er das Problem lösen ?

Die Ladefläche ist zu hoch ausgeladen, um eventuell die »Dachlast« von innen zu lösen, um sie dann gefahrlos von der Plane schieben zu können. Hilfsmittel, wie z.B. eine Leiter, hat er nicht dabei. Auch wenn er sie hätte, könnte es ein Problem geben. Wenn er nämlich bei den »Reinigungsarbeiten« von der Leiter stürzt, wird er die Fragen der Berufsgenossenschaft nach Einhaltung von Sicherheitsvorschriften nicht ausreichend beantworten können. Weit entfernt vom heimischen Standort und wieder einmal alleine gelassen, gibt es keine praktikable Lösung für ihn.

Er vertraut seinem Glück (es wird schon nichts passieren) und fährt auf die Autobahn, da sein Zeitplan zur Transportdurchführung eingehalten werden muss. Er ist noch keine zwei Kilometer gefahren, als die Eisfläche auf der in Bewegung geratenen Plane splittert und Teile davon auf dem direkten Wege auf die Frontscheibe eines nachfolgenden Pkw segeln.

Durch den plötzlichen Aufprall der Eisstücke auf die Frontscheibe zerbricht diese und nimmt der Fahrerin die Sicht auf die Fahrbahn. Sie verreißt erschrocken das Lenkrad. Dadurch gerät ihr Fahrzeug ins Schleudern, prallt in die Mittelschutzplanken, und der Pkw driftet nach rechts über beide Fahrstreifen und kommt in der Böschung zum Stillstand.

Die Pkw-Fahrerin wird leicht verletzt, ihr Fahrzeug ein Totalschaden.

Die unfallaufnehmenden Beamten fertigen eine Unfallanzeige mit dem Hinweis auf eine verletzte Person, mangelhaften Zustand des Lkw (Eisreste auf der Fahrzeugplane) und einem geschätzten Sachschaden am Pkw von ca. 13.000 Euro.

Nicht immer gehen Schadensfälle dieser Art so glimpflich aus. Im ungünstigsten Fall kann ein solcher Unfall ein Menschenleben kosten. Materielle Schäden werden durch die Versicherungen geregelt, doch wie kann man hier mit Präventionsmaßnahmen gezielt Abhilfe schaffen?

 

Lösungen

Pkw-Fahrer schützen sich am besten, wenn sie den erforderlichen Abstand zu einem Lkw einhalten und während der kalten Jahreszeit Überholvorgänge mit noch größerer Aufmerksamkeit durchführen.

Doch wer löst die ungeklärten Fragen:

  • Wer unterstützt die Lkw- Fahrer wenn sie unterwegs sind?
  • Warum sind nur die Fahrer/innen vorrangig in der Verantwortung?
  • Gibt es Möglichkeiten für zukunftsorientierte und zeitnahe Lösungen?

Nutzfahrzeughersteller könnten Lösungen schaffen: zum Beispiel geänderte Dachneigungen, beheizbare Planen, doppelwandige Planen im Dachbereich, die durch Luftzufuhr Schnee -und Eisteile seitlich abrutschen lassen, oder durch spezielle Dach-/Planenbeschichtungen.

Servicebereiche an Tankstellen und Rastanlagen könnten eingerichtet werden.

Kostenfragen würden über die Zusammenarbeit mit den Versicherern abgefangen, denn die zu regulierenden Schäden durch Verkehrsunfälle mit dieser geschilderten Ursache dürften bundesweit leicht sechsstellige Ziffern erreichen.

 

Rechtliche Beurteilung

Alle aufgeführten Ordnungswidrigkeitentatbestände bzw. Straftatbestände können in Frage kommen, müssen aber individuell in jedem Einzelfall konkret geprüft werden.

Liegt eine Ordnungswidrigkeit vor, kommen für eine Verstoßkette folgende Bestimmungen aus der StVO und StVZO in Betracht.

Als Sachverhalt sei angenommen: Lkw/Pkw verliert während der Fahrt feste Schneereste oder Eisstücke von seiner Ladefläche oder vom Dach.

Es treten die Bestimmungen des § 23 Abs. 1 StVO i.V.m. § 49 StVO in Kraft. Es darf dabei niemand behindert oder geschädigt worden sein. Der Fahrer ist für den im § 23 Abs.1 StVO beschriebenen Zustand verantwortlich. Wird durch den oben beschriebenen Sachverhalt jemand behindert oder geschädigt, tritt der § 1 StVO Abs. 2 zusätzlich in Kraft.

Es könnte sich eine Halterverantwortlichkeit ergeben (im Ordnungswidrigkeiten-Bereich) nach §§ 31, 69a StVZO. Jedoch, die Grundvoraussetzung wäre: Der Halter muss von dem Zustand Kenntnis haben, und das Fahrzeug muss sich in seinem Zugriffsbereich befinden (also nicht, wenn der Fahrer unterwegs ist).

Häufig ist diese Halterverantwortlichkeit (diese Möglichkeit besteht bei Owi-Tatbeständen) auf einen Disponenten oder Fuhrparkleiter schriftlich formuliert übertragen worden und ist dann auch rechtsverbindlich.

Sollte es zu einer Schädigung gekommen sein, treffen für solche Fälle für die o.a. Personen die Bestimmungen aus § 14 OWIG (Beteiligung) zu. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass durch den geschilderten Sachverhalt auch Straftatbestände in Frage kommen.

Wird durch das vorherige Nichtbeseitigen und anschließende Herabfallen von festen Schneestücken oder Eisteilen ein Verkehrsunfall verursacht, bei dem Personen verletzt werden, könnte der Tatbestand z.B. des § 229 StGB (fahrlässige Körperverletzung ) erfüllt sein. Sollte es zu einem Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang für Personen kommen, ist es sogar möglich, dass der Tatbestand des § 222 StGB (fahrlässige Tötung) erfüllt würde. Über eine mittelbare Täterschaft von verantwortlichen Personen (§ 25 StGB) muss dann auch nachgedacht werden.

 

Nicht wieder bis zum Winter warten...

Um die Zahl dieser Unfälle zu senken, bedarf es der Mitarbeit aller von diesem Thema Betroffenen. Verkehrssicherheit darf keine Frage von Kostenentscheidungen werden, und realistische Lösungen sollten beim heutigen Stand der Technik durchaus möglich sein.

Nur dürfen wir dieses seit Jahrzehnten bekannte Problem nicht wieder bis zum nächsten Winterhalbjahr vor uns herschieben.

Die Autobahnpolizei Münster startete am 16.01.2002 ein Pilotprojekt um eine von wahrscheinlich vielen möglichen Lösungen umzusetzen.

Im Bereich der Bezirksregierung Münster wurde auf dem Autohof Hamm (Autobahn A1, Abfahrt Bockum-Hövel) den Lkw-Fahrern ein Gerüst zur Verfügung gestellt, das den Sicherheitsbestimmungen entspricht. So können die Fahrer vor Fahrtantritt gefahrlos und kostenfrei Eis -und Schneereste von ihren Fahrzeugen entfernen und so erheblich zur Steigerung der Verkehrssicherheit auf unseren Straßen beitragen. Außerdem können sie dadurch die Zahlung eines Verwarngeldes, eine Ordnungswidrigkeitenanzeige, oder schlimmstenfalls folgenschwere Verkehrsunfälle vermeiden.

Rainer Bernickel

Rainer Bernickel

Polizeihauptkommissar i.R.

Von 1970 bis 2006 bei der Autobahnpolizei Münster; zuständig für die Verkehrssicherheitsberatung.

Europareferent für Verkehrssicherheit.

Autor für Fachzeitschriften.

..zum Seitenbeginn